Der HSV ist sportlich auf bestem Wege, die Aufstiegshoffnungen der extrem starken HSV-Fanbasis zu erfüllen. Dem Merchandising-Team des Hamburger SV bietet diese Fanbasis erstklassige Möglichkeiten – besonders inmitten der folgenschweren Pandemie – als leistungsstarker Monetarisierungsmotor die finanzielle Situation zu festigen. Konkrete Einblicke liefert uns hier das Interview mit Sascha Steinbrück, Leiter Merchandising/Lizenzen beim Traditionsverein Hamburger Sport Verein. Darin geht es um Themen wie Social Commerce, Fanansprache, Corporate Influencer, Auswirkungen der Pandemie, gedruckte Fanartikelkataloge – und es ist auch die Rede vom „explodierenden Onlinehandel“. Natürlich darf auch die Derbydynamik nicht ungefragt bleiben. Der HSV-Merchandising-Verantwortliche hält nicht hinterm Berg mit seiner Einschätzung zum DIIY-Modell des Hamburger Derbyrivalen FC St. Pauli.

Sascha Steinbrück ist Leiter Merchandising/Lizenzen beim Hamburger Sport Verein.
Sascha Steinbrück,
Leiter Merchandising/Lizenzen beim Hamburger Sport Verein. Bildnachweis: HSV

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web-netz Sports Interview mit Sascha Steinbrück

Wann bist du zum HSV gestoßen, was hast du vorher beruflich gemacht und hattest du vor dem HSV bereits Erfahrungen sammeln können im Sportbusiness?

„Ich bin gebürtiger Niedersachse und gelernter Groß- und Außenhandelskaufmann. Am Ende meines BWL-Studiums an der Georg-August-Universität Göttingen im Jahr 2010 habe ich als Praktikant im Merchandising bei Hannover 96 erste Einblicke erhalten, später dann auch noch beim VfL Wolfsburg. Seit 2014 bin ich beim Hamburger SV.“

Lass uns gleich mit einem Highlight loslegen, das aus deiner Sicht als Meilenstein im HSV-Merchandising gefeiert werden darf. Fällt dir da ein besonderes Ereignis ein in deiner Zeit?

„Die größte Veränderung in meinen insgesamt elf Jahren im Merchandisingbereich ist sicherlich die Einstellung der gedruckten Ausgabe des Fanartikel-Katalogs in der Saison 2016/17 beim HSV. Wir haben zu damaligen Zeiten heftig diskutiert und es ist uns wirklich schwergefallen, diese „Heilige Kuh“, die „Bibel des Merchandisings“ anzufassen. Die Frage war, wie hoch ist der negative Effekt auf den Umsatz? Wie viele Fans werden sich beschweren, dass es diese traditionelle Lektüre nicht mehr in den heimischen Briefkasten schafft? Am Ende haben sich nicht mal eine Handvoll Fans beschwert und die Umsatzeinbußen waren wenig bis gar nicht messbar, die Kosteneinsparung war dafür umso höher. Wir waren damals der erste größere Verein, der diesen Schritt gegangen ist, mittlerweile sind fast alle gefolgt.“

Fankataloge des Hamburger SV.
So sah die „heilige Kuh“ des Merchandisings aus, die in der Saison 2016/17 beim HSV eingestellt wurde.
Bildnachweis: HSV

Welche allgemeine Bedeutung erfährt der Merchandising-Bereich in Fußballvereinen wie dem HSV?

„Neben der Bedeutung für das Marketing der Clubs, ist das Merchandising eine wichtige Einnahmequelle. Monetär gesehen ist das von Club zu Club unterschiedlich. Wie man unserem aktuellen Jahresabschluss für die vergangene Saison entnehmen kann, liegt der Anteil des Merchandisings am Gesamtumsatz bei über 10%. Daher würde ich das Merchandising als deutlich relevant einstufen, zumal sich der prozentuale Anteil aufgrund der fehlenden Ticketing-Einnahmen in der laufenden Saison bei den meisten Vereinen sicher vergrößern wird.“

Mit mehr als 10% des Gesamtumsatzes gehört der HSV somit zu den Profifußballadressen, die mit dem Merchandising über einen besonders leistungsstarken Monetarisierungsmotor verfügen. Sind die Absatzpotenziale für Fußball-Merchandise-Artikel bereits ausgeschöpft?

„Es gibt immer Steigerungspotential, vor allem durch sich verändernde Rahmenbedingungen. Das Merchandising ist komplex, und es gibt fortlaufendes Optimierungspotential in Einkauf, Produktmanagement, Logistik und Vertrieb.

Wichtig ist, dass die Merchandising-Abteilungen flexibel auf Veränderungen der Absatzmöglichkeiten reagieren. Der Einzelhandel hat sich in den letzten Jahren stark verändert, und wird dies auch in den kommenden Jahren tun. Hier gilt es wachsam zu sein, alte Zöpfe abzuschneiden und mutig mit den Veränderungen umzugehen.“

Ist es wahrscheinlich, dass Vereine dem Modell DIIY vom FC St. Pauli folgen und ebenfalls in Eigenregie Ausrüstungsartikel herstellen lassen?

„Es ist die Aufgabe eines jeden Verantwortlichen in diesem Bereich, genau solche Möglichkeiten stetig zu prüfen und zu bewerten.

Meine subjektive Meinung aus der Ferne, ohne weiterführende Detailkenntnis zu besitzen: Dieses Konzept kann aus unterschiedlichen Gründen aktuell nur beim FC St. Pauli, sowohl nicht-monetär (Marke) als auch monetär, erfolgreich sein. Dieser Verein hat genau die richtige wirtschaftliche Stärke im Merchandising, die passende Fankultur und auch die Erfahrung der handelnden und verantwortlichen Personen. Ich halte dies für einen mutigen, aber konsequenten und richtigen Schritt und bin daher vom Erfolg überzeugt.“

Spieltagsanzeige Hamburger SV gegen FC St. Pauli
Derby-Bilanz: 19 HSV-Siege, 9 Remis, 6 FC St. Pauli-Siege / Bildnachweis: HSV

Kann durch Social Commerce ein neuer Absatzweg für Fußball-Merchandise-Artikel geschaffen werden?

„Ich sehe es als einen Baustein der Produktwerbung, mit welchem wir neben vielen anderen die weggefallenen Print-Kataloge kompensieren. Es wird zu beobachten sein, in welcher Form dieser Absatzweg an Bedeutung gewinnen kann.“

Hältst du dynamische Produktplatzierungen von Fußball-Merchandise-Artikeln bei Live-Events für erfolgsversprechend?

„Ich kann auf jeden Fall berichten, dass unser Chef-Trainer Daniel Thioune mit dem Tragen unserer Textilien am Spielfeldrand für Dynamik in unseren Vertriebskanälen sorgt. Im Ernst, wir haben fast jede Woche mehr als 90 Minuten Live-Event mit unserem Hauptprodukt „Trikot“ im Fokus. Hinzu kommt im Vorfeld sowie in der Nachbetrachtung eine unglaubliche Reichweite in Print- und Digitalmedien. Das muss an der Stelle Werbung genug sein. Die Fans dürfen sich beim wöchentlichen Live-Event, dem Spiel ihres Vereins, voll und ganz auf das Geschehen auf dem Rasen konzentrieren. Wenn das Trikot dann gefällt, oder der Pullover des Trainers, und vielleicht noch die Mütze des Sport-Vorstandes, dann freuen wir uns nach dem Spiel über eine Bestellung im Onlineshop.

Im Bereich eSports sehe ich das ein wenig anders. Hier werden sich in Zukunft sicher noch weitere Möglichkeiten der zielgruppenspezifischen Ansprache ergeben.“

Jonas Boldt trägt wie hier im Interview mit NDR Sport die HSV-Cap.
Corporate Influencer im Profifußball: Auch HSV-Sportvorstand Jonas Boldt trägt wie hier im Interview mit NDR Sport die HSV-Cap.
Quelle: NDR https://www.facebook.com/watch/?v=1063336147517663

Welche Schlüsselfaktoren haben Sie für die optimale Nutzung von Social Commerce identifiziert?

„Mitarbeiter sind die besten Botschafter“ in Verbindung mit „Glaubwürdigkeit“. Wenn unsere Spieler und Funktionäre sich in den Artikeln wohlfühlen, sich nicht verkleidet vorkommen, dann wecken wir damit sicher den Kaufimpuls bei vielen Fans.“

Halten Sie Kooperationen zwischen Vereinen und Influencern für sinnvoll, um höhere Umsätze im Social Commerce zu generieren?

„Vor einiger Zeit war Star-DJ „Felix Jaehn“ bei einem Spiel im Volksparkstadion und hatte sich anscheinend vorher eine HSV-Jacke gekauft. Sein Social-Post dazu ging um die Welt. Das muss das Ziel sein. Als Verein und Marke so stark sein, dass Personen mit Reichweite gerne und aus eigenem Antrieb für dich werben. Eine bezahlte Kampagne mit Influencern, die zwischen anderen Produkten plötzlich Fanartikel posten, finde ich unglaubwürdig und unpassend.“

Werden Fußball Merchandise Artikel aus sachlichen Erwägungen oder emotionalen Motiven gekauft? Wie versuchen Sie Ihre Kunden emotional anzusprechen? Vor allem im Web 4.0?

„Ich erinnere mich an eine kürzlich erschienene Studie zu diesem Thema. Tatsächlich teilen sich die Käufer von Fanartikeln ungefähr gleich auf in „Geschenkekäufer“ und „Fans“. Wie die Vereine ihre Fans emotional ansprechen, das ist sicher gelernt. Aber wie spreche ich die Personen an, die kein Fan des Vereins sind, aber ein Geschenk benötigen? Wie mache ich es dieser Gruppe relativ einfach und bequem, den Artikel zu kaufen? Wollen sich diese Personen wirklich beim Verein im Onlineshop registrieren oder müssen wir dieser Zielgruppe nicht möglichst viele POS (Online: Plattformen; Offline: LEH / Discount) anbieten um das Potential auszuschöpfen?“

Können negative Emotionen, wie in sportlichen Krisen, Einfluss auf den Absatz von Merchandise-Artikeln nehmen?

„Negative sportliche Ergebnisse haben direkten Einfluss auf den Absatz. Die Stunden nach einer Niederlage sind meist sehr ruhig in unseren Vertriebskanälen.“

Bundesligisten nutzen Social Media hauptsächlich als Kommunikationskanal und nur bedingt kommerziell. Wie bewertest du das Thema?

„Diese Diskussion wird fortlaufend geführt, und hier gibt es sicher auch mal unterschiedliche Auffassungen zwischen der Kommunikationsabteilung und dem Merchandising.  Am Ende müssen wir aber natürlich aus der Sicht der Fans denken. Was ist relevant, und was ist so relevant, dass wir damit alle Abonnenten des Social-Media-Kanals ansprechen wollen? Dies gilt es abzuwägen, und manchmal ist dann ein zielgruppenspezifisches Mailing doch effektiver und effizienter.“

Welche Auswirkungen hat die Covid-19 Pandemie allgemein auf den Absatz von Fußball Merchandise Artikeln beziehungsweise auf die Absatzkanäle?

„Ich kann da nur von unseren Zahlen sprechen. Meiner Prognose nach werden wir im Merchandising bei sportlich konstanten Leistungen des Kernproduktes keinen merkbaren Rückgang des Gesamtumsatzes verzeichnen. Die Verschiebung innerhalb der Vertriebskanäle ist allerdings enorm: Kein Spieltagsverkauf, wenig stationärer Handel, große Steigerungen im E-Commerce. Hier gilt es die Entwicklung auch nach der Pandemie im Auge zu behalten und flexibel auf die Veränderungen im Kaufverhalten der Fans zu reagieren.

Auch auf Artikelebene sind Veränderungen spürbar. Die Verkäufe von klassischen Spieltagsartikeln wie Schals, Fahnen oder Sitzkissen tendieren gegen Null, während Freizeitkleidung und Artikel für Haus & Garten starke Zuwächse verzeichnen. Veränderungen in den Absatzkanälen müssen zwingend auch zeitnah im Produktmanagement gewürdigt werden.“

Führen die geringeren bzw. aktuell verbotenen Zuschauer an Spieltagen zu mehr Traffic auf den Social-Media-Kanälen?

„Das fällt zwar weniger in meinen Verantwortungsbereich. Ich kann dennoch berichten, dass sich unsere Medienabteilung sehr schnell auf die neue Situation eingestellt und entsprechende Formate wie z.B. eine Warm-Up Show vor den Spielen entwickelt hat, um den Fans ein bisschen Stadionatmosphäre nach Hause zu bringen.“

Wie schätzt du die Risiken während der Pandemie ein als potenzielle Beeinträchtigung für die Nutzung von Social Commerce?

„Auch wenn wir es alle nicht mehr hören können. Wir werden nach der Pandemie sicher nicht auf den Stand von Anfang 2020 zurückkehren. Daher gilt es, wachsam zu sein, möglichst schnell auf die Veränderungen zu reagieren und mutig zu sein. Risiken? Die Verlagerung des Umsatzes in Richtung der Onlinekanäle verursacht mehr Chancen als Risiken in diesem Bereich!“

Abschließend bitte noch einen kleinen letzten Ausblick durch die HSV-Handelsbrille bitte!

„Der stationäre Handel ist am Boden, also müssen zwangsweise neue, mutige Konzepte für unsere Fanshops her. Zu verlieren gibt es dort kaum noch etwas.

Gleichzeitig explodiert der Onlinehandel. Welche Schwerpunkte setzen wir also im eigenen Shop, welche auf den Plattformen? Zeitgleich gilt es sich auch im Bereich der Logistik zu optimieren. Im letzten Weihnachtsgeschäft haben wir den Umsatz im Onlinegeschäft mehr als verdoppelt. Dies bedeutet eine völlig veränderte Situation im Bestellwesen, im Lager und der Logistik.“

Das Sport Unit-Team von web-netz dankt dir für diesen Gedankenaustausch und wünscht viel Erfolg auf dem Weg zurück in die Erstklassigkeit!

Beste Grüße,

Friedhelm


Anmerkung: Bei der Erarbeitung des Contents hat Sportbusiness-Student André Wallenborn im Rahmen seiner Bachelor Thesis mitgewirkt. Hier ein Statement des aktuellen Fußballprofis André Wallenborn in Diensten von Alemannia Aachen zum Thema Merchandising:

„Das Merchandising ist einer der wenigen Bereiche im Fußball, den die Clubs aktiv selbst verändern können. Aufgrund von Möglichkeiten wie Sortimentserweiterungen (z.B. Mund-Nase-Bedeckung, Fashion-Linien), Internationalisierung und Sonderaktionen (z.B. Karnevals- oder Oktoberfest-Trikot) sind die Absatzpotenziale für Fußball-Merchandise-Artikel noch lange nicht ausgeschöpft. Das Karnevals-Trikot des 1. FC Köln ist eine krisenfeste Mehreinnahme für den Verein aus der Domstadt. Der 1. FC Nürnberg verkauft ein „Lebkuchen-Trikot“ und 1860 München Oktoberfest-Trikots. Hertha BSC kann durch ein modisches Auswärtstrikot und einen nicht vorhandenen Brustsponsor ein Umsatzplus im Trikotabsatz verzeichnen – trotz Corona. Ein Paradebeispiel für modische Fanartikel ist Paris-Saint-Germain. PSG kooperiert mit der Modemarke Replay und mit der Eigenmarke von Nike „Air Jordan“. Die Replay x PSG Kollektion wurde sogar auf der Pariser Fashion-Week präsentiert.“


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